Michele Imobersteg |

5. Mai 2021

Aufwachen nach der Coronakrise

In welcher Welt wachen zu viele KMU während und nach Corona auf? Vielleicht in derselben wie davor. Sicher aber in einer schlimmeren.

 

Der Patron eines mittelgrossen Familienbetriebs im Messebau entwirft, plant und baut zusammen mit seiner Frau Messestände. Dreissig Jahre lang haben sie zwischen Bangen und Hoffen changiert, dass ihre Messestände manchmal auf die Minute genau in Hannover, München oder Paris von zufriedenen Ausstellern abgenommen werden. Im Messewesen sind Tag- und Nachteinsätze der Normalfall. Während der Hochsaison fallen Stunden über Stunden für Transport, Montage und Demontage der Messestände an. Die Arbeitsspitzen werden von den Familienmitgliedern zu einem bescheidenen Lohn gebrochen. Überstunden werden nicht gerechnet. Schon gar nicht ausbezahlt, denn der Patron und seine Frau lassen diese zusammen mit einem Teil ihres Lohnes auf der Passivseite der Bilanz als Darlehen an die Firma stehen.

 

28. Februar 2020, 10.00 Uhr

An diesem Datum war plötzlich alles fertig. Das Messejahr ist gelaufen. Zerstört. Der Bundesrat verkündet ein flächendeckendes Versammlungsverbot. In den darauf folgenden Stunden werden sämtliche Messen abgesagt. Der Autosalon in Genf, die Baselworld in Basel und Dutzende andere Messen, für welche die Planung und die Bereitstellung von Ausstellungsmaterial schon ausgeführt sind, bedeuten für unseren Familienbetrieb, ihr Personal und die Zulieferanten das Auskommen für das erste Halbjahr 2020. Es wurde schlagartig klar, dass den weiter laufenden Fixkosten von monatlich CHF 140'000 ab sofort kein Ertrag mehr gegenüber stand. Die Rechnungen der Lieferanten lagen vor und in Verbindung mit dem Kreditengagement bei der Hausbank ergoss sich die plötzliche Überschuldung wie ein kalter Regen über die Rücken des Patrons, seiner Frau und aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

 

Bilanz deponieren

Juristen und Treuhänder kennen den Artikel 725 Absatz 2 des Obligationenrechts. Nach diesem ist bei begründeter Besorgnis einer Überschuldung eine Zwischenbilanz zu erstellen und einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorzulegen. Ergibt sich aus dieser Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gläubiger nicht gedeckt sind, so hat der Verwaltungsrat den Richter zu benachrichtigen, sofern nicht Gesellschaftsgläubiger im Ausmass dieser Unterdeckung im Rang hinter allen anderen Gesellschaftsgläubiger zurücktreten. Jeder Versuch den Konkurs hinauszuschieben, kann als Konkursverschleppung oder ungetreue Geschäftsbesorgung geahndet werden. Beim zuständigen Bezirksgericht muss, zusammen mit dem Zwischenabschluss, ein Gesuch betreffend Überschuldungsanzeige eingereicht werden. Nach wenigen Tagen trifft in einem eingeschriebenen braunen Umschlag das Gerichtsurteil ein, wonach über den Betrieb der Konkurs eröffnet worden sei. Wenige Stunden später meldet sich das Konkursamt, um alle Schlüssel des Betriebs zu verlangen. Alle Fahrzeuge sollen stehen gelassen werden. Die Geschäftsbücher sind der Konkursbehörde auszuliefern.

 

Das Verhör

Mit verengter Brust wird der Patron nach dreissig Jahren unermüdlichem Einsatz vor die Konkursbehörde geladen, um sich während zweier Stunden einem Verhör auszusetzen. Das Einvernahmeprotokoll als Ausgangslage für die Liquidation beinhaltet vier Seiten aus dem Strafgesetzbuch mit zu unterlassenden Handlungen. Die möglichen Delikte betreffen unter anderen Konkurs- und Betreibungsverbrechen, betrügerischer Konkurs oder Pfändungsbetrug. Ebenso Gläubigerschädigung durch Vermögensverminderung, Misswirtschaft, Unterlassung der Buchführung, Bevorzugung eines Gläubigers oder ordnungswidrige Führung der Geschäftsbücher. Vieles, woran der Unternehmer nicht mal im Traum zu denken wagte, bekommt nun eine kriminelle Dimension.

 

Jede Kreativität unterlassen

Die über Jahre stehen gelassenen Darlehen des Patrons und seiner Frau lösen sich in Luft auf. Einerseits weil diese als Eigenkapital qualifiziert werden. Anderseits weil sie mit Rangrücktritt beschlagen sind. Vielfach befindet sich im Anlagevermögen das Betriebsgebäude, welches die Unternehmerfamilie selbst bewohnt. Sein Haus gerät in die Konkursmasse. Und sollte auf der Aktivseite noch ein Darlehen gegen den Patron vorhanden sein, dann verlangt die Konkursbehörde, dass dieses zurückgeführt wird.

 

Während vieler schlaflosen Nächte kommen dem Patron vermeintlich gute Ideen in den Sinn. Was könnte noch schnell getan werden, um wenigsten einen kleinen Teil des Vermögens zu «retten», das eigentlich ihm gehört? Die Zwischenbilanz nimmt in der Konkursphase den Charakter einer Urkunde an. Jede Behörde ist schlau genug, um aus dieser ungewöhnliche Korrekturen zu erkennen.

 

Jeder Unternehmer, der einen Konkurs vermutet, ist gut beraten, wenn er rechtzeitig einen Juristen oder seinen Treuhänder konsultiert. Das Aufwachen mit und nach Corona wird über weite Strecken einem Albtraum nahe kommen. Ein langjähriger Unternehmer lässt sich derzeit kaum mit einem Trost beruhigen. Doch das Leben geht weiter. Unternehmer erfinden sich immer wieder neu.

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